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COVID-19: Warum wir keine Freigabe von Patenten auf Impfstoffe brauchen

National und international gibt es Instrumente, um notwendige Technologien rechtlich zur Verfügung stellen zu können, wie beispielsweise die Zwangslizenz. Eine Suspendierung des Patentschutzes erhöht die Verfügbarkeit von Impfstoff gerade nicht.

Mittlerweile kann man wohl sagen, dass alle Personen in Deutschland, die wollen, inzwischen gegen COVID19 geimpft sind. Die deutsche Impfquote liegt weit über dem Weltdurchschnitt. Vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern ist von solchen Zahlen derzeit nur zu träumen.

Aufgrund dieser Ungleichverteilung werden zunehmend die Rufe nach einer Auflockerung bis hin zu einer Aussetzung des Patentschutzes für die Impfstoffe lauter. Nicht zuletzt der amerikanische Präsident Joe Biden verkündete, dass angesichts dieser „Menschheitskatastrophe“ eine zeitweise Freigabe von Impfstoffpatenten erfolgen müsse. Indien und Südafrika haben bereits die Aussetzung des TRIPS-Abkommens für COVID-19-Impfstoffe verlangt. Dies würde bedeuten, dass der Patentschutz weltweit entfiele und zudem keinerlei Lizenzgebühren gezahlt werden müssten. Die Diskussion schien abgeschlossen. Die ehemalige Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hatte in ihrer letzten Regierungserklärung am 24.06.2021 noch einmal ihre ablehnende Haltung artikuliert. Sie bestätigte ausdrücklich, dass sie eine politisch erwirkte Freigabe der Patente für den falschen Weg halte. Die Produktion müsse auf Basis von Lizenzen vergrößert werden. Die Bundeskanzlerin argumentierte, dass die Welt auch in Zukunft darauf angewiesen sei, dass Impfstoffe entwickelt werden. Dies könne nur gelingen, wenn der Schutz geistigen Eigentums nicht außer Kraft gesetzt werde.

Gleichzeitig scheint der Druck nun abgenommen zu haben, nachdem die Europäische Union zusammen mit den Impfstoffherstellerinnen umfangreiche Zusagen für die Lieferung von Impfstoff gegeben hat. Doch immer wieder flammen Stimmen auf, die Patente suspendieren wollen, um den Impfstoff dadurch angeblich global verfügbarer zu machen. Zuletzt forderten beispielsweise prominente Redner und Rednerinnen der Linkspartei bei der Diskussion der Impfpflicht im deutschen Bundestag, Patente auf Impfstoffe freizugeben. Die aktuelle Forderung der Linkspartei sehen sie hier.

Der hinter all diesen Forderungen stehende Wille, allen Menschen einen Zugang zu Impfstoff zu ermöglichen, ist essenziell und muss selbstverständlich sein. Um dies zu erreichen, muss allerdings der richtige – oder jedenfalls ein effektiver – Weg gewählt werden. Dabei müssen wir auch einen Blick in die Zukunft werfen. Patente dienen letztlich auch dem Ansporn zu Forschung und Innovation. Diese Innovationskraft könnte mit Blick auf zukünftige Pandemien in ganz entscheidender Weise eingeschränkt werden, wenn wir nun das Vertrauen der Unternehmen und Investoren in ihr geistiges Eigentum erschüttern.

Es ist überaus fraglich, ob eine Aufhebung des Patentschutzes überhaupt das gewünschte Ziel erreichen kann. Kann der Mangel an Impfdosen dadurch beseitigt werden, Unternehmen auf der ganzen Welt das Rezept für einen Impfstoff in die Hand zu drücken? Haben wir nicht, selbst im kleinen Kreis der derzeitigen Impfstoffherstellerinnen, gesehen, dass nicht das technische Know-How die Massenproduktion hindert? Problematisch ist doch der Mangel an Produktionswerkstätten, Material und Fachpersonal. Es kann eben nicht jedes Unternehmen von heute auf morgen einen Impfstoff herstellen, wenn es denn nur das Rezept in Händen hält. So kann bereits die Einrichtung einer einzelnen Anlage mehrere Monate dauern. Zudem enthält eine Patentschrift nicht jegliches Know-How, das tatsächlich erforderlich ist, um das Produkt herzustellen. Wollte man so weit gehen und auch den Schutz von Know-How aufheben, müsste man sich dann doch fragen lassen, wie man gedenkt faktisch an dieses Wissen heranzukommen. Vor diesem Hintergrund ist zweifelhaft, ob die Aufhebung des Patentschutzes für die aktuelle Pandemie überhaupt Wirkung entfalten könnte.

Den Patentschutz aufzuheben ist damit keine Lösung. Dies würde massiv in die Rechte der Unternehmen eingreifen und kann gleichzeitig die Verfügbarkeit nicht erhöhen (man möge sich zudem vorstellen, wie die zukünftige Reaktion der Unternehmen wäre: keine Forschung oder keine Veröffentlichung der Forschungsergebnisse und damit gar kein Wissenszugang).

Zudem erstaunt es doch sehr, wie schnell bei geistigem Eigentum Letzteres entwertet wird. Sprechen wir über die Impfdosen selbst und nicht über die Technik dahinter, findet die Diskussion abrupt ein Ende. So ist es einhellige Meinung, dass Impfdosen, die bspw. die USA an andere Länder spenden, vorher bezahlt wurden. Hier gibt es bisher keine Aufrufe, die Impfstoffherstellerinnen dazu zu zwingen, die Impfdosen kostenlos abzugeben. Ebenso gibt es bisher keine Bestrebungen die Lagerhallen von z.B. BioNTech, Pfizer oder Moderna zu plündern. Sobald das Wissen in einem Fläschchen verkörpert ist, ist es ja auch „richtiges Eigentum“. Wir haben uns allerdings dazu entschieden nicht nur dingliches, sondern eben auch geistiges Eigentum zu schützen.

Dabei kennt das deutsche Recht sogar die Möglichkeit, den Patentschutz teilweise auszusetzen. Das Infektionsschutzgesetz gewährt die Möglichkeit, auf das rechtliche Eigentum der Impfstoffherstellerinnen zuzugreifen. § 13 des Patentgesetzes gewährt der Bundesregierung die Möglichkeit, den absolut wirkenden Patentschutz teilweise per Anordnung auszusetzen. Konkret bedeutet dies, dass sie den Patentschutz insoweit lockern könnte, als dass die patentierte Technologie – also die Bauanleitung des COVID-19-Impfstoffs – auch ohne die Zustimmung der Rechteinhaber und Rechteinhaberinnen von der Bundesregierung selbst oder von Dritten (u.a. auch impfstoffherstellende private Unternehmen) verwendet werden kann. Entscheidend hierbei ist allerdings, dass nach § 13 Abs. 3 PatG ein Anspruch auf angemessene Vergütung gegen den Bund besteht.

Neben den Stimmen, die den Patentschutz aufheben möchten, wächst die Anzahl der Stimmen, die die Vergabe von Zwangslizenzen fordern.

Auch diese Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber bereits vorgesehen in § 24 PatG. Hiernach haben private Unternehmen die Möglichkeit, im Rahmen eines nichtausschließlichen Nutzungsrechts, von der patentierten Erfindung auch gewerblichen Gebrauch zu machen. Voraussetzung für die Erteilung einer Zwangslizenz ist zunächst, dass sich Lizenzsuchende innerhalb eines angemessenen Zeitraums erfolglos bemüht haben, die Zustimmung des Patentinhabers oder der Patentinhaberin zur gewerblichen Nutzung zu erhalten. Darüber hinaus muss die Erteilung einer Zwangslizenz auch im öffentlichen Interesse liegen.

Mit Blick auf medizinische Aspekte hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 festgestellt, dass ein solches öffentliches Interesse bei der Verteilung eines HIV-Medikaments besteht (BGH, 11.07.2017 – X ZB 2/17).

Wird eine Zwangslizenz vergeben, so beschränkt das Gericht den Umfang und die Dauer auf ein Maß, das der Umsetzung des öffentlichen Interesses gerecht wird. Außerdem haben die Patentinhaber und Patentinhaberinnen einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung.

Das deutsche Patentrecht stellt damit schon alle erforderlichen Instrumente zur Verfügung, um bei öffentlichem Interesse, auf das geistige Eigentum einzuwirken. Der entscheidende Unterschied zu den Bemühungen Indiens, Südafrikas und den USA ist dabei, dass den Patentinhabenden eine angemessene Vergütung zusteht. Dass es sich bei den Impfstoffen gegen COVID-19 um Güter handelt, die zum Wohle der Menschheit für alle Menschen zugänglich sein müssen, ist evident. Umso wichtiger ist es jetzt, auch für die Zukunft, einen Weg zu finden, der die Interessen der Beteiligten in Einklang bringt. Es muss weiterhin für die Unternehmen lukrativ sein, in die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen zu investieren. Gleichzeitig müssen die entsprechenden Forschungsergebnisse allen Menschen zugänglich sein.

Den Patentschutz aufzuheben, löst nicht das Problem der Ungleichverteilung von Impfstoff auf der Welt. Dieser Vorschlag beruht am Ende auch nicht wirklich auf dem Willen, die Verfügbarkeit der Impfstoffe zu erhöhen. Die Idee dahinter ist es vielmehr, etwaige Lizenzgebühren zu sparen.

Dr. Christof Augenstein

Dr. Katharina Brandt