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OLG Düsseldorf weist Antrag auf Erlass einer Anti-Anti-Suit Injunction (AASI) im Einzelfall als unzulässig zurück, bestätigt aber deren grundsätzliche Verfügbarkeit

Auch wenn die Entscheidung auf den ersten Blick die Rechte von Patentinhabern und Patentinhaberinnen zu schmälern scheint, macht das OLG Düsseldorf unmissverständlich deutlich, dass sog. Anti-Suit-Injunctions zu missbilligen sind und man sich auch vor den Düsseldorfer Gerichten dagegen wehren kann. Der Unterschied zur Rechtsprechung der Münchner Gerichte liegt im Wesentlichen darin, mit welcher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass eine Lizenzsucherin oder ein Lizenzsucher tatsächlich um eine Anti-Suit-Injunction vor einem ausländischen Gericht nachsucht. Ebenfalls bestätigt das OLG Düsseldorf, dass wer im Ausland eine Anti-Suit-Injunction beantragt, als lizenzunwillig anzusehen ist, so dass es ohne weitere Diskussion zur Angemessenheit des FRAND-Angebots die Unterlassung und den Rückruf aus einem standard-essentiellen Patent aussprechen würde.

Der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf hat mit Urteil vom 07.02.2022, (Az. I-2 U 27/21) eine einstweilige Verfügung (nachfolgend: AASI) des Landgerichts Düsseldorf vom 14.12.2020 (Az.: 4c O 73/20) aufgehoben. Die Entscheidung ist die zweite obergerichtliche Entscheidung zu AASI in Deutschland, die im Zusammenhang mit Streitigkeiten über standard-essenzielle Patente (nachfolgend: SEP) ergangen ist. Anders als bei vorangegangen AASI Entscheidungen wurde der Antrag auf Erlass wegen der Gründe des konkreten Einzelfalls erstmals von einem Gericht als unzulässig zurückgewiesen.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf können Sie hier auf Deutsch und hier auf Englisch abrufen.

Der zweite Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf betonte in seiner Entscheidung ausdrücklich, dass das Betreiben eines ASI-Verfahrens ein Eingriff in absolut und verfassungsrechtlich geschützte Rechte der Patentinhaberinnen und Patentinhaber sei. Gegen solche Eingriffe sei vor deutschen Gerichten Rechtsschutz zu erlangen.

Der zweite Zivilsenat des OLG Düsseldorf begründete, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen in SEP Streitigkeiten grundsätzlich ein Rechtsschutzbedürfnis am Erlass einer AASI bestehe. Dies gelte allerdings nur, soweit der Erlass einer AASI zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes objektiv notwendig sei.

Entscheidungserheblich sei gewesen, dass – anders als in bisherigen Entscheidungen Münchner Gerichte – weder eine Hauptsacheklage anhängig, noch ein Antrag auf Erlass einer ASI gestellt worden sei. Im konkreten Einzelfall verneinte das OLG Düsseldorf daher, dass der Erlass einer AASI objektiv notwendig gewesen sei.

Entgegen der Judikatur der Münchner Gerichte hielt es das Düsseldorfer Gericht nicht für ausreichend, dass die Benutzerinnen und Benutzer des SEP nicht verbindlich erklärt hätten, in einer ausländischen Jurisdiktion keine ASI beantragen zu wollen.

Eine „nachlaufende Schutzanordnung“ sei für den Schutz der Patentinhaberinnen und Patentinhaber ausreichend; eine „vorauseilende“ AASI böte demgegenüber keinen besseren Schutz. Ohne stichhaltige Anhaltspunkte könne eine AASI wegen des Rechtsstaatsprinzip nicht allein wegen der abstrakten Möglichkeit eines ASI Antrages ergehen.

Der zweite Zivilsenat betonte, dass der nachlaufende Rechtsschutz auch deswegen hinnehmbar sei, weil Patentbenutzerinnen und Patentbenutzer durch einen Antrag auf Erlass einer ASI zeigen, dass sie offensichtlich lizenzunwillig seien. Sie seien daher ohne weiteres zur Unterlassung zu verurteilen.

Das OLG Düsseldorf erkannte auch, dass die Sanktionsdrohungen ausländischer Gerichte Patentinhaberinnen und Patentinhaber aus wirtschaftlichen Gründen von der Rechtsdurchsetzung abhalten können und aus deren Perspektive der Rechtsschutz unzulänglich sei. Dies sei aber generelle Konsequenz der Spruchpraxis ausländischer Gerichte und unabhängig vom Zeitpunkt des AASI-Erlasses.

Das OLG Düsseldorf entschied, dass ein Rechtsschutzbedürfnis auch dann nicht bestehe, wenn eine konzernverbundene Gesellschaft in der Vergangenheit bereits eine ASI beantragt habe, soweit der Sachverhalt sich in wesentlichen Punkten – anhängiges Hauptsacheverfahren im Ausland – unterscheide.

Schließlich äußerte sich der zweite Zivilsenat noch obiter dictum zur Antragsformulierung: Es könne offenbleiben, ob der Antrag nicht schon deshalb unzulässig sei.

Fazit

Es ist erfreulich, dass der zweite Zivilsenat des Oberlandesgericht Düsseldorf sich im Grundsatz der Auffassung der Münchner Judikatur angeschlossen hat und bestätigt, dass Patentinhaberinnen und Patentinhaber vor nationalen Gerichten Schutz ihres immateriellen Eigentums gegen ASI erlangen können. Inhaberinnen und Inhaber von SEP können also auch vor Düsseldorfer Gerichten grundsätzlich weiterhin wirksamen Rechtsschutz gegen ASI erlangen. Die Unterschiede in der dogmatischen Herangehensweise dürften sich in der Praxis kaum auswirken.

Der zweite Zivilsenat des OLG Düsseldorf legt – im Vergleich zur Münchner Judikatur – allerdings strengere Maßstäbe an. Das OLG Düsseldorf greift hierbei nicht auf alle Fallgruppen zurück, die das LG München entwickelt hatte. Nach der Entscheidung des OLG Düsseldorfs besteht insbesondere in folgenden Fallgruppen nicht ohne weiteres ein Anspruch auf Erlass einer AASI:

  • Patentbenutzerinnen / Patentbenutzer haben in einer Jurisdiktion, die grundsätzlich ASI bereitstellt, eine Hauptsacheklage auf Lizenzierung oder auf Feststellung einer angemessenen globalen Lizenzgebühr für eine solche Lizenz angedroht;
  • Patentbenutzerinnen / Patentbenutzer haben nicht innerhalb einer von der Patentinhaberin / dem Patentinhaber gesetzten kurzen Frist in Textform erklärt, keinen Antrag auf Erlass einer ASI zu stellen;
  • Patentbenutzerinnen / Patentbenutzer haben gegenüber anderen Patentinhaberinnen / -inhabern ASI angedroht oder eine solche bereits beantragt, soweit Anhaltspunkte, die für den Patentinhaber erkennbar sind, fehlen, dass die Patenbenutzerinnen / Patentbenutzer diese Praxis zukünftig jedenfalls im Verhältnis zur Patentinhaberin / Patentinhaber, nicht weiterverfolgt;

In folgenden Konstellationen dürften Anträge von SEP-Inhaberinnen / -inhabern auf Erlass einer AASI auch nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf weiterhin Erfolgsaussichten haben:

  • (Aktive) Drohung der Patentbenutzerinnen / -benutzer gegenüber den Patentinhaberinnen / -inhabern mit Antrag auf Erlass einer ASI;
  • Patentbenutzerinnen / -benutzer haben bereits einen Antrag auf Erlass einer ASI gegen die Patentinhaberinnen / -inhaber gestellt;
  • Patentbenutzerinnen / -benutzer haben in einer Jurisdiktion, die grundsätzlich ASI bereitstellt, Hauptsacheklage auf Lizenzierung oder auf Feststellung einer angemessenen globalen Lizenzgebühr für eine solche Lizenz eingereicht;

Erfreulicherweise erkannte das OLG Düsseldorf, dass durch die Sanktionen ausländischer Gerichte Patentinhaber aus Gründen wirtschaftlicher Vernunft von der Rechtsdurchsetzung abgehalten werden können und aus deren Perspektive der Rechtsschutz unzulänglich sei. Dies zeigt, dass deutsche Gerichte sehr wohl berücksichtigen, dass ASI Entscheidungen einen erheblichen Druck auf Unternehmen ausüben können.

Nicht überzeugen kann allerdings die weitergehende Begründung, dass dies nicht mit der Frage verbunden sei, ob vorauseilend oder nachlaufen gegen eine ASI eingeschritten werde, sondern eine generelle Konsequenz der chinesischen Spruchpraxis sei. Die Begründung des OLG Düsseldorf trifft in dieser Hinsicht nur teilweise zu. Für Patentinhaber ist es sehr wohl entscheidend, zu welchem Zeitpunkt eine AASI-Entscheidung ergeht. Zwar mag es zutreffen, dass ausländische Gerichte in ihrer Entscheidungspraxis Entscheidungen deutscher Gerichte nicht hinreichend berücksichtigen. Für die Tätigkeit von Unternehmen im Ausland ist es allerdings faktisch sehr wohl entscheidend, ob ihr eigenes Verhalten durch eine AASI abgesichert ist. Patentinhaber, die vor dem Erlass einer ASI eine eigene AASI in den Händen halten, stehen in einem anderen Licht dar und können auch in Verhandlungen über FRAND-Bedingungen anders auftreten. Außerdem sind Unternehmen teilweise durch eigene Compliance-Vorschriften angehalten, sich an Urteile ausländischer Gerichte zu halten und dürfen aufgrund dieser Selbstbindung nicht gegen die Verfügung eines ausländischen Gerichts vorgehen. Diese faktischen Gesichtspunkte berücksichtigt das OLG Düsseldorf aus unserer Sicht nicht hinreichend. Wir meinen, dass unter diesen Umständen der Erlass einer vorauslaufenden AASI aus Gründen effektiven Rechtsschutzes objektiv notwendig sein könnte. Hinzu kommt, dass Strafzahlungen gerade vor chinesischen Gerichten deutlich höher sind als vor deutschen, so dass wegen dieser Asymmetrie des wirtschaftlichen Drucks ein nachlaufender Rechtsschutz deutscher Gerichte wirkungslos bleibt.

Hervorzuheben ist, dass neben dem Landgericht München (vgl. LG München I, Urt. v. 28.01.2021, Az. 7 O 14276/20 (eine Englische Übersetzung ist hier abrufbar)) nun auch das OLG Düsseldorf ausdrücklich anerkennt, dass Patentbenutzerinnen und Patentbenutzer, die eine ASI beantragen, offensichtlich lizenzunwillig sind. Es dürfte nahe liegen, dass diese Lizenzunwilligkeit nicht durch ein späteres Verhalten ausgeglichen werden kann; Patentbenutzerinnen und Patentbenutzer die ASI beantragen sind damit also quasi unheilbar lizenzunwillig. Dies ist ein wichtiges und deutliches Signal, dass Anträge auf Erlass einer ASI in Deutschland erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Wir gehen davon aus, dass sich die Patentsenate des Düsseldorfer Oberlandesgerichts über eine so grundlegende und richtungsweisende Entscheidung abgestimmt haben und diese Entscheidung daher nicht nur eine Orientierung für künftige Entscheidungen des zweiten Zivilsenats, sondern auch für Entscheidungen des XV Zivilsenats bietet.

Um die „Unzulänglichkeit“ des Rechtsschutzes weiter auszugleichen, wäre es außerdem wünschenswert, wenn Gerichte im Rahmen künftiger AASI-Entscheidungen Sanktionen ausländischer Gerichte durch entsprechende Freistellungsansprüche abfedern würden. Solche Ansprüche dürften sich aus §§ 823, 249 Abs. 1 BGB ergeben und können nach unserer Einschätzung auch in Einstweiligen Verfügungsverfahren geltend gemacht werden. Gerichtliche Entscheidungen deutscher Gerichte sind dazu bislang allerdings noch nicht ergangen.

Dr. Christof Augenstein

Dr. Benedikt Walesch