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BGH, Urteil v. 20.06.2023 – X ZR 61/21 – Faserstoffbahn

Wann sind die Grenzen des Vorbenutzungsrechts überschritten, wenn eine Modifikation verwendet wird? Mit dieser Frage hat sich der 10. Zivilsenat in der Entscheidung Faserstoffbahn auseinandergesetzt.

I. Sachverhalt

Das Verletzungsverfahren hatte eine Slipeinlage der Beklagten (zunächst angegriffene Ausführungsform I) zum Gegenstand. Das LG Düsseldorf hat die Beklagte im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt. In der Berufungsinstanz vor dem OLG Düsseldorf beschränkte der Kläger die Klage auf die Ausführungsform II, die erstmals superabsorbierende Stoffe (SAP) aufwies, wobei er eine Kombination aus Haupt- und Unteransprüchen geltend machte. 

Das OLG Düsseldorf hat das geltend gemachte Vorbenutzungsrecht verneint und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die vorbenutzte Slipeinlage unstreitig keine SAP aufgewiesen habe. Der Vorbenutzer sei jedoch auf die Nutzung desjenigen Besitzstands beschränkt, den er vor dem Anmelde- bzw. Prioritätstag genutzt habe. Folglich sei schon kein geschützter Besitzstand in Bezug auf die zuletzt geltend gemachte Anspruchsfassung gegeben – die Frage nach der Reichweite eines Vorbenutzungsrechts bei Modifikationen stelle sich daher nicht.

Auf die Revision der Beklagten hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und zur erneuten Entscheidung und Verhandlung in der Sache an das OLG Düsseldorf zurückverwiesen.

II. Begründung

Der Vorbenutzer sei grundsätzlich auf die Nutzung desjenigen Besitzstands beschränkt, für den vor dem Anmelde- oder Prioritätstag sämtliche Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands erfüllt waren. Weiterentwicklungen über diesen Besitzstand hinaus sind ihm verwehrt, wenn sie in den Gegenstand der geschützten Erfindung eingriffen. Ob eine andere Benutzungsform vorliege, sei am Maßstab der unter Berücksichtigung von Beschreibung und Zeichnungen ausgelegten Schutzansprüche zu beurteilen.

Der Vorbenutzer überschreite insbesondere die Grenze seines Vorbenutzungsrechts, wenn mit der Modifikation erstmals ein zusätzlicher Vorteil erzielt werde. Anders verhalte es sich dagegen, wenn das Patent bzw. Gebrauchsmuster eine Abweichung von der Vorbenutzung offenbare, die der Fachmann zum Anmelde- oder Prioritätszeitpunkt ohne Weiteres in Betracht gezogen hätte.

Diese Prüfung habe das Berufungsgericht jedoch nicht vorgenommen, sondern sei rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass sich die Frage der Reichweite aufgrund einer Modifikation hier grundsätzlich nicht stelle.

Die Modifikation eines vorbenutzten Gegenstands, der alle Merkmale eines unabhängigen Anspruchs des Klagegebrauchsmusters verwirkliche, könne allerdings auch dann von einem Vorbenutzungsrecht gedeckt sein, wenn der vorbenutzte Gegenstand weitere Merkmale nicht aufgewiesen habe, die nach dem Klageantrag zwingend seien. Das gelte unabhängig davon, ob lediglich die Verletzungsklage auf eine in der genannten Weise beschränkte Fassung eines unabhängigen Schutzanspruchs gestützt werde oder ob das Gebrauchsmuster in einem Löschungsverfahren entsprechend beschränkt worden sei.

III. Fazit

Verwirklicht eine Modifikation erstmals zusätzliche Merkmale eines Unteranspruchs, sind die Grenzen des Vorbenutzungsrechts nicht per se überschritten. Im Einzelfall kann dies zwar dafürsprechen, dass ein zusätzlicher Vorteil erreicht wird, der nicht mehr von dem Vorbenutzungsrecht gedeckt ist. Das ist allerdings anhand des Patents bzw. Gebrauchsmusters in seiner erteilten Fassung zu prüfen.

Marco Berlage