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Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf: Kein hinreichend gesicherter Rechtsbestand des Verfügungspatents nach Widerruf des Stammpatents in einem Generikafall

OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.02.2023 – Az. 15 W 14/21

Der 2. Zivilsenat des OLG Düsseldorf hat in seinem Urteil vom 23.02.2023 (Az. 15 W 14/21) entschieden, dass die unter Drittbeteiligung zustande gekommene Erteilung des Verfügungspatents auch in einem Generikafall keine Unterlassungsverfügung rechtfertige, sofern ihr eine Widerrufsentscheidung der Einspruchsabteilung zum inhaltsgleichen Stammpatent entgegensteht.

I. Zum Sachverhalt

Die Verfügungsklägerin ist Inhaberin des deutschen Teils eines europäischen Patents über eine pharmazeutische Zusammensetzung zur Behandlung von Multipler Sklerose. Über einen anhängigen Einspruch ist noch nicht entschieden. Das Stammpatent wurde im Rahmen eines von zehn Einsprechenden – darunter auch die Verfügungsbeklagte – geführten Einspruchsverfahren von der Einspruchsabteilung des EPA widerrufen. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies die technische Beschwerdekammer zurück. Das widerrufene Stammpatent ist weitgehend inhaltsgleich mit dem Verfügungspatent.

Das LG Düsseldorf hat den Antrag auf Erteilung einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen, weil der Rechtsbestand nicht gesichert sei. Die Erteilung des Verfügungspatents und die Entscheidung der Beschwerdekammer stünden in einem unauflösbaren Widerspruch.

Das OLG Düsseldorf bestätigte das Urteil des LG und wies die Berufung als unbegründet zurück.

II. Zur Entscheidung

Das OLG Düsseldorf entschied, dass eine einstweilige Verfügung aufgrund eines patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs nur dann erlassen werden kann, wenn der Bestand des Verfügungspatents so eindeutig zu beantworten ist, dass eine fehlerhafte Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist. Dies könne grundsätzlich nur dann sein, wenn das Verfügungspatent ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat.

Eine Ausnahme hiervon wird gemacht, wenn Sachverhalte vorliegen, in denen der Patentinhaber besonders schutzwürdig ist. Dies ist in der Regel der Fall. Denn während der von einer nicht erlassenen einstweiligen Verfügung angerichtete Schaden im Falle einer späteren Aufrechterhaltung des Patents vielfach enorm und vielfach nicht wiedergutzumachen ist, hat eine Unterlassungsverfügung, die sich nachträglich als unberechtigt erweist, nur zur Folge, dass das beklagte Generikaunternehmen vorübergehend zu Unrecht vom Markt ferngehalten wurde. Hier falle die Interessenabwägung klar zum Vorteil des Patentinhabers aus, da das beklagte Generikaunternehmen für seine Marktpräsenz regelmäßig keine eigenen wirtschaftlichen Risiken eingehen müsse.

Das OLG Düsseldorf gestand zwar zu, dass es sich hier um einen solchen Generika-Fall handle und somit grundsätzlich auch eine Verfügung zu erlassen sei, wenn keine endgültige Sicherheit über den Rechtsbestand bestünde. Allerdings stehe hier die negative streitige Rechtsbestandsentscheidung der Annahme eines gesicherten Rechtsbestands entgegen. Dies gelte auch bezogen auf ein Stamm- oder Parallelpatent, wenn sich – wie hier – die Argumente zur Schutzrechtsvernichtung auf das Verfügungspatent übertragen lassen. Der Erlass der einstweiligen Verfügung stehe der Entscheidung der Einspruchsabteilung des EPA entgegen, welche im Vergleich zur Prüfungsabteilung den höherrangigen Spruchkörper darstelle und technisch fachkundig sei.

Aufgrund der gegebenen Umstände war eine Auseinandersetzung mit der EuGH-Entscheidung vom 28.04.2022, Rs. C-44/21 – Phoenix / Harting, wonach eine einschränkende Rechtsprechung, dass eine einstweilige Verfügung nur nach einem erstinstanzlichen Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren erlassen werden könnte, gegen Art. 9 Abs. 1 lit. a RL 2004/48 verstoße, nicht notwendig.

Dr. Melissa Lutz