Aktuelle News.

EPG zum Zugang zu Schriftsätzen und Beweismitteln

Die Zentralkammer München hat zwei Anträge gemäß Regel 262.1 (b) Verfahrensordnung zurückgewiesen, mit denen Zugang zum Inhalt der Gerichtsakten von zwei Nichtigkeitsklagen beantragt wurde.

Das Gericht stellte fest, dass ein „begründeter Antrag” einen konkreten und überprüfbaren legitimen Grund erfordert, der gegen das Interesse der Partei an der Verweigerung des Zugangs abgewogen werden kann.

Die nordisch-baltische Regionalkammer stellte demgegenüber fest, dass ein „begründeter Antrag” nur voraussetzt, dass die Antragstellerin oder der Antragsteller glaubhaft begründet, warum sie oder er Zugang zu den Schriftsätzen oder Beweismitteln wünscht.

I. Zentralkammer München: Wunsch, sich eine Meinung über den Rechtsbestand zu bilden, ist kein legitimer Grund

Der erste Beschluss erging am 20. September 2023 (Aktenzeichen CFI 1/2023). Der Antragsteller beantragte vollständigen Zugang zum Inhalt des Registers, einschließlich aller Schriftsätze und Beweismittel, die im Rahmen einer Nichtigkeitsklage eingereicht wurden. Der Antragsteller gab lediglich an, dass das streitgegenständliche Patent und seine Rechtsbeständigkeit für eine seiner Mandantinnen von Interesse sei. Die Parteien des Ausgangsverfahrens wurden zur Stellungnahme aufgefordert, wobei die klagende Partei vorbrachte, dass es nicht möglich sei zu beurteilen, ob tatsächlich ein Grund für die Gewährung des Zugangs bestehe, da die Mandantin des Antragstellers anonym bleibe. Daraufhin beantragte der Antragsteller die Einsichtnahme ausschließlich in seinem eigenen Namen. Als Grund für den Antrag gab er nun an, dass er sich eine Meinung über den Rechtsbestand des Patents bilden wolle. 

Der Berichterstatter lehnte den Antrag ab, da er der Meinung war, dass der Antragsteller keinen berechtigten Grund für den Zugang zum Register aufzeigen konnte. Dies ist insofern interessant, als in R. 262.1 (b) der Verfahrensordnung lediglich von einem „begründeten Antrag” die Rede ist und somit nicht ausdrücklich ein legitimer Grund verlangt wird. Der Berichterstatter kommt hingegen zu dem Schluss, dass nicht beabsichtigt war, ein „Standard”-Recht auf Zugang zu Schriftsätzen und Beweismitteln zu schaffen. Er begründet dies mit dem Wortlaut der Vorschrift, der klar zwischen Entscheidungen und Anordnungen unterscheidet, die zu veröffentlichen sind, während Schriftsätze und Beweismittel nur auf begründeten Antrag hin zugänglich sind, sowie mit dem Aufbau und der Geschichte der Vorschrift. Hiernach kommt der Berichterstatter zu dem Schluss, dass Gründe angegeben werden müssen, die ein Abweichen von der Standardsituation rechtfertigen, in der Dritte lediglich das Register einsehen und das Vorhandensein von Dokumenten zur Kenntnis nehmen können, nicht aber deren Inhalt.

Das Gericht „kommt daher zu dem Schluss, dass R. 262.1 (b) der Verfahrensordnung einen konkreten und überprüfbaren legitimen Grund für den Zugang zu Schriftsätzen und Beweismitteln auf Antrag eines Mitglieds der Öffentlichkeit erfordert”.

In dem entschiedenen Fall hat der Antragsteller diesen erforderlichen Grund nicht dargelegt. Er hatte argumentiert, dass er sich eine Meinung über den Rechtsbestand des Patents bilden wolle und dass dies für ihn als Mitglied der Öffentlichkeit und als Patentanwalt von persönlichem und beruflichem Interesse sei. Der Berichterstatter stellt fest, dass dieser Wunsch nicht als hinreichend konkreter, legitimer Grund dienen kann. Dem Antrag fehlte es daher nicht nur an konkreten und überprüfbaren Informationen, sondern das Gericht sah zudem keinen Grund, warum der Zugang zu den Schriftsätzen und Beweismitteln nützlich oder notwendig sein sollte, um sich eine Meinung über das Patent zu bilden. Der Berichterstatter verweist den Antragsteller entsprechend auf das Studium des Patents und der öffentlichen Dokumente des Erteilungsverfahrens sowie des Stands der Technik.

II. Zentralkammer München: Wunsch nach Information zu Zwecken der Aus- und Fortbildung ist kein legitimer Grund

Das Gericht entschied in einer anderen Sache ähnlich. Dieser zweite Beschluss erging am 21. September 2023 (Aktenzeichen CFI 75/2023). Die antragstellende Partei bat um Kopien der Nichtigkeitsklage und des Zustellungsschreibens an die Patentinhaberin in einem weiteren Nichtigkeitsverfahren. Hier machte der Antragsteller geltend, dass er zu Zwecken der Aus- und Weiterbildung über das Verfahren vor dem UPC informiert werden wolle. Nachdem er zur Stellungnahme aufgefordert worden war, machte die Klägerin in der Hauptsache geltend, dass es einem Dritten nicht gestattet werden dürfe, die „sorgfältig erstellten Schriftsätze (die mit einem nicht unerheblichen Kostenaufwand erstellt wurden)” zu verwenden, um seine eigenen Interessen zu fördern.

Auch hier verweist der Berichterstatter auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte der Regel und kommt zu dem Schluss, dass ein Antrag auf Zugang zu Schriftsätzen und Beweismitteln gemäß R. 262.1 (b) der Verfahrensordnung die Gründe für den Zugang an sich betreffen muss. Der Berichterstatter stellt fest, dass der begründete Antrag die Grundlage für die Entscheidung nach Anhörung der Parteien bildet und dass auf der Grundlage aller Tatsachen und Umstände zu beurteilen ist, ob tatsächlich ein legitimer Grund vorliegt.

In diesem Fall konnte das Gericht keinen legitimen Grund feststellen, da der Antragsteller keine konkreten und überprüfbaren Informationen vorgetragen hatte. Abgesehen davon sah das Gericht keinen Grund, warum die angeforderten Dokumente für diesen Zweck nützlich oder notwendig sein sollten, da der Antragsteller schließlich die Beschlüsse und Entscheidungen des Gerichts lesen konnte. Der Berichterstatter stellte entsprechend fest, dass der angeführte Grund nicht ausreichend konkret und überprüfbar war, so dass der Berichterstatter nicht einmal in der Lage war, diesen Grund gegen das (kommerzielle) Interesse der Klägerin an der Verweigerung des Zugangs abzuwägen.

Schließlich stellte das Gericht klar, dass es ungeachtet des Fehlens eines legitimen Grundes keine Rechtsgrundlage für die Übermittlung der Kopie des Zustellungsschreibens gibt, da es sich weder um “Schriftsätze” noch um “Beweismittel” im Sinne von R. 262.1 (b) der Verfahrensordnung handelt.

III. Nordisch-Baltische Regionalkammer: Glaubwürdige Erklärung ist ausreichend

Die nordisch-baltische Regionalkammer hatte ebenfalls über einen Antrag nach R. 262.1(b) der Verfahrensordnung zu entscheiden. Dieser Beschluss ist datiert auf den 17. Oktober 2023 (Aktenzeichen CFI 11/2023). Hier hatte der Antragsteller Zugang zu Dokumenten in einem Verletzungsverfahren beantragt, das zurückgenommen wurde, noch bevor allen Beklagten die Klageschrift zugestellt worden war.

Der Berichterstatter würdigte die Entscheidungen der Zentralkammer München, stellte jedoch fest, dass nach Ansicht der nordisch-baltischen Regionalkammer das schriftliche Verfahren grundsätzlich öffentlich ist, sofern das Gericht nicht beschließt, es vertraulich zu behandeln. Daher kam der Berichterstatter zu dem Schluss, dass ein „begründeter Antrag” im Sinne von R. 262.1(b) der Verfahrensordnung so zu verstehen ist, dass die den Antrag stellende Partei eine glaubwürdige Erklärung abgeben muss, warum er oder sie Zugang wünscht. Diese Informationen könnten dann bei der Entscheidung, ob eine vertrauliche Behandlung der Informationen erforderlich ist, von Bedeutung sein.

Der Antragsteller hatte erklärt, er sei daran interessiert, zu sehen, wie die Klage formuliert sei, zumal sie parallel zu weiteren Klagen in anderen Kammern eingereicht worden sei. Diese Erklärung war nach Ansicht der nordisch-baltischen Regionalkammer ausreichend.

IV. Zulassung zur Berufung

Es sei darauf hingewiesen, dass das Gericht in allen Beschlüssen erklärt hat, dass eine klare und einheitliche Auslegung des Begriffs „begründeter Antrag” und die einheitliche Anwendung von R. 262.1 (b) der Verfahrensordnung besonders wichtig sind. Daher hat das Gericht die Berufung gegen die Beschlüsse zugelassen. Die nordisch-baltische Regionalkammer ordnete zudem den Zugang zur Klageschrift erst für den 7. November 2023 an. Damit sollte dem Antragsteller ausreichend Zeit gegeben werden, um Rechtsmittel einzulegen und die aufschiebende Wirkung zu beantragen.

Das EPG muss in den ersten Monaten seiner Tätigkeit seine Rechtsprechung zu vielen kleineren und größeren Fragen finden und festigen. Die Anwendung von R.262.1 (b) der Verfahrensordnung mag eine dieser kleineren Fragen sein, sie betrifft jedoch die sehr wichtige Frage des Zugangs der Öffentlichkeit zu den Gerichtsakten des EPG. Es sollte Beachtung finden, dass das Gericht die unterschiedlichen Meinungen zu R. 262.1 (b) der Verfahrensordnung wahrgenommen hat und daher die Berufung zugelassen hat. Es ist zu erwarten, dass das Berufungsgericht in den kommenden Monaten eine Entscheidung zu dieser Frage treffen wird.

Dr. Katharina Brandt